Warum Breathwork besonders für queere Personen heilsam sein kann

Mit diesem Artikel starte ich offiziell eine neue Serie auf meinem Blog, die mir sehr am Herzen liegt: "Breathwork für alle Körper und Identitäten". In dieser Serie möchte ich erkunden, wie die Arbeit mit unserem Atem besonders für queere und andere marginalisierte Gruppen heilsam sein kann und einen Raum für authentisches Sein schaffen kann.
Dabei sind diese Blogartikel explizit nicht ausschließlich für queere Menschen gedacht, sondern für alle Menschen, die nach Verbindung streben und sich eine offenere, gerechtere und sichere Welt für alle Menschen wünschen. Falls dieses Thema neu oder fremd für dich ist, hoffe ich, dass du diesen Artikel mit einem offenen Geist und offenen Herzen liest. Wenn du am Ende Fragen hast, sind diese in den Kommentaren herzlich willkommen – solange sie respektvoll gestellt werden. Hass und Hetze haben auf meiner Webseite und in meiner Community keinen Platz; alle Kommentare werden vor der Veröffentlichung geprüft und nicht veröffentlicht, wenn sie verletzend oder angreifend sind.
Was bedeutet Queerness eigentlich (für mich)?
Bevor wir tiefer einsteigen, möchte ich für alle, denen das Thema neu ist, kurz erläutern, was ich unter "queer" oder "Queerness" verstehe: Für mich umfasst der Begriff all die Menschen, deren Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck, sexuelle Orientierung oder Beziehungsvorstellungen von der cis-heteronormativen Gesellschaftsnorm abweichen.
Dazu können unter anderem lesbische, schwule, bisexuelle, pansexuelle, trans*, nicht-binäre, inter* und asexuelle Menschen zählen. "Queer" ist dabei sowohl ein Sammelbegriff als auch eine eigene Identitätsbezeichnung, die viele Menschen für sich wählen, um auszudrücken, dass sie sich jenseits traditioneller Kategorien bewegen.
Ich selbst verstehe mich als cis Frau (also als eine Person, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde). Lange habe ich mich als heterosexuell definiert, dieses Label passt für mich mittlerweile nicht mehr. Seit über einem Jahr lebe ich in einer queeren Beziehung. Schon vorher durfte ich entdecken, dass viele gesellschaftlich hetero-normative Labels für mich und mein Leben nicht (mehr) funktionieren. Seitdem bin ich auf einer persönlichen Erkundungsreise, zu der ich sicherlich an anderer Stelle mal ausführlicher schreiben werde.
Sowohl privat als auch durch die Arbeit mit meinen Klient*innen bin ich mit dem Thema „Queer sein“ immer wieder in Kontakt. Dieses Thema ist auf so vielen Ebenen für mich wichtig, dass ich mich hierzu regelmäßig weiterbilde und versuche, unbewusste Glaubensmuster aufzudecken und internalisierte gesellschaftliche „Standards“ zu hinterfragen und zu verlernen. Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft noch so viel zu lernen haben – weder die Schule bereitet uns darauf vor noch hilft uns die Gesellschaft zu verstehen, dass es mehr als „Mann" und "Frau" in hetero-sexuellen Beziehungen gibt.
Queere Körpererfahrungen in einer cis-heteronormativen Welt
Für queere Menschen kann das Leben in einer stark binär denkenden und heteronormativen Gesellschaft eine tägliche Herausforderung sein. Von früher Kindheit an werden wir mit Botschaften konfrontiert, die klare Erwartungen an unser Geschlecht, unsere Körper und unser Verhalten stellen. Für Menschen, deren inneres Erleben nicht mit diesen äußeren Erwartungen übereinstimmt, kann dies zu einem tiefgreifenden Gefühl der Entfremdung führen – sowohl von der Gesellschaft als auch vom eigenen Körper.
Diese Diskrepanz kann zu dem führen, was Forscher*innen als "Minderheiten-Stress" bezeichnen: die chronische Belastung, die entsteht, wenn man ständig mit Vorurteilen, Ausgrenzung und manchmal sogar offener Feindseligkeit konfrontiert wird. Die körperlichen und emotionalen Auswirkungen dieses Stresses sind real und messbar – von erhöhten Cortisol-Werten bis hin zu chronischen Anspannungsmustern im Körper.
Ein häufiger Schutzmechanismus, den viele queere Menschen entwickeln, ist eine gewisse Trennung vom eigenen Körper. Diese Abspaltung kann in Momenten der Bedrohung lebensrettend sein, führt langfristig aber oft zu einem Gefühl der Entfremdung vom eigenen physischen Selbst. Leider ist aber gerade diese Körperverbindung so wichtig, um ein authentisches Leben führen zu können.
Die besondere Kraft von Breathwork für queere Personen
An dieser Stelle möchte ich Breathwork ins Spiel bringen. Der Atem ist in vielerlei Hinsicht ein wundervolles Werkzeug für queere Personen auf ihrem Heilungsweg – und das aus mehreren Gründen:
Atmen ist universell und nicht-binär. Es folgt keinen gesellschaftlichen Kategorien und Normen. Atmen ist einfach. Atmen ist da. Atmen ist Leben. Dein Atem gehört zu dir, ohne dass du dafür etwas tun musst oder dich an bestimmte gesellschaftliche Erwartungen anpassen musst.
Breathwork bietet einen Raum für Selbstbestimmung. Anders als bei vielen anderen körperbasierten Praktiken gibt es beim Breathwork – zumindest in meinen Räumen – keine "richtige" Art zu sein oder auszusehen. Du bestimmst selbst, wie du atmest, wie du sitzt oder liegst, und wie tief du in die Erfahrung eintauchen möchtest. Diese radikale Selbstbestimmung kann besonders heilsam sein für Menschen, deren Körper und Identität oft von außen definiert und bewertet werden.
Die Praxis der bewussten Atmung hilft, wieder in Verbindung mit dem eigenen Körper zu kommen – auf eine Weise, die sicher und selbstbestimmt sein darf. Für viele queere Menschen kann diese Wiederverbindung transformativ sein, da sie ermöglicht, den eigenen Körper jenseits gesellschaftlicher Zuschreibungen zu erleben und anzunehmen.
Und schließlich ermöglicht es Breathwork auch, Grenzen neu zu definieren und klar zu spüren. In einer Gesellschaft, in der die Grenzen queerer Menschen oft nicht respektiert werden, kann das bewusste Wahrnehmen und Setzen von Grenzen während der Atemarbeit ein kraftvoller Akt der Selbstfürsorge und des Empowerments sein.
Heilsame Aspekte der bewussten Atmung für queere Körper
Ich bin der Überzeugung, dass die bewusste Arbeit mit unserer Atmung verschiedene Wege der Heilung und Unterstützung für queere Personen bieten kann, zu denen ich hier gerne etwas mehr schreiben möchte.
Queere Menschen erleben häufiger traumatische Erfahrungen und chronischen Stress, was zu einem chronisch dysregulierten Nervensystem führen kann. Breathwork in seinen verschiedenen Formen kann helfen, das Nervensystem zu regulieren und einen Zustand der Sicherheit im Körper zu kultivieren.
In der Atempraxis gibt es keinen "richtigen" oder "falschen" Körper. Es gibt nur deinen Körper, wie er jetzt ist, und deinen Atem, wie er jetzt fließt. Du kannst eine verkörperte Präsenz jenseits gesellschaftlicher Zuschreibungen erleben. Diese bedingungslose Annahme des gegenwärtigen Moments kann besonders für Menschen heilsam sein, die sich oft an fremden Standards messen.
Der bewusste Atem schafft einen Raum der Stille, in dem wir unsere innere Stimme klarer hören können. In dem die Verbindung zur inneren Weisheit und zur selbstbestimmten Identität gestärkt werden kann. In einer Welt, die queeren Menschen oft vorschreibt, wer sie sein sollen, kann diese Verbindung zur eigenen inneren Führung ein Akt des Widerstands und der Selbstbestimmung sein.
Und schließlich kann gemeinsames Atmen in einer Gruppe ein tiefes Gefühl der Verbundenheit schaffen, ohne dass Worte nötig sind. Für queere Menschen, die oft Ausgrenzung erfahren, kann diese Form der non-verbalen Verbindung besonders bedeutsam sein.
Zum Abschluss möchte ich einmal betonen, dass Breathwork zwar ein kraftvolles Werkzeug sein kann, aber keine Therapie ersetzt. Wenn du mit tieferen traumatischen Erfahrungen arbeitest, kann professionelle therapeutische Unterstützung unerlässlich sein. Dabei ist es besonders wichtig, queer-freundliche und entsprechend fortgebildete Therapeut*innen zu finden. Leider kann eine nicht-informierte Therapie bei queeren Menschen manchmal mehr Schaden als Nutzen anrichten, wenn gesellschaftliche Normen unhinterfragt bleiben oder Identitätsfragen pathologisiert werden. Informiere dich deshalb vorab, ob potenzielle Therapeut*innen Erfahrung mit queeren Themen haben und einen intersektionalen, affirmativen Ansatz verfolgen. Organisationen wie das Queer Lexikon oder lokale LGBTQIA+-Beratungsstellen können hier wertvolle Ressourcen für die Suche nach passender Unterstützung sein.
Eine Übung zum Ankommen: Die Kohärenzatmung
Zum Abschluss dieses Abschnitts möchte ich dir eine einfache, aber kraftvolle Atemübung vorstellen, die besonders gut geeignet ist, um das Nervensystem zu regulieren und mehr in die Verbindung mit dir selbst zu kommen: die Kohärenzatmung.
Bei der Kohärenzatmung geht es darum, einen harmonischen Rhythmus zu finden, der dein Herz-Kreislauf-System in einen Zustand der Kohärenz bringt – einen Zustand, in dem alle Systeme optimal zusammenarbeiten.
Folge dafür den folgenden Schritten (und nimm unbedingt Anpassungen vor, wo sie für dich sinnvoll und nötig sind):
- Finde eine bequeme Position im Sitzen oder Liegen, in der du dich sicher fühlst. Du kannst die Übung mit geöffneten oder geschlossenen Augen machen. Wenn es sich gut anfühlt, kannst du eine Hand auf dein Herz legen.
- Beginne, gleichmäßig lang durch die Nase ein- und auszuatmen. Deine Ein- und Ausatmung sollten gleich lang sein.
- Wenn es sich für dich gut anfühlt, kannst du einen Rhythmus von fünf Sekunden, sowohl für das Ein- als auch das Einatmen wählen – damit kommst du genau auf sechs Atemzüge pro Minute. Falls dieser Rhythmus zu anstrengend ist, kannst du die Zähleinheiten auch verkürzen oder verlängern.
- Fokussiere beim Atmen die Gegend um dein Herz und stelle dir vor, wie dein Atem durch diesen Bereich fließt.
Praktiziere diese Übung für mindestens zwei bis drei Minuten, gerne auch länger, und nimm dabei wahr, wie sich dein Zustand verändert.
Das Besondere an dieser Atemtechnik ist, dass sie einen sanften Einstieg in die Atemarbeit bietet, ohne überwältigend zu sein. Sie kann in schwierigen Momenten zur Selbstregulierung eingesetzt werden und wird mit der Zeit zu einem vertrauten Anker, den du jederzeit nutzen kannst.
Was die Kohärenzatmung besonders wertvoll für queere Personen macht: Sie erlaubt dir, ganz bei dir zu bleiben und einen sicheren Raum in dir selbst zu finden – unabhängig von äußeren Umständen oder Bewertungen.
Praktische Zugänge für queere Personen
Um Breathwork wirklich zugänglich und heilsam für queere Personen zu machen, sind einige Aspekte besonders wichtig, die ich an dieser Stelle gern hervorheben möchte:
Sicherheit und Trauma-Sensibilität müssen eine Grundlage darstellen. Viele queere Menschen haben Traumata erlebt, die direkt mit ihrer Identität zusammenhängen. Eine Trauma-sensible Herangehensweise an Breathwork ist daher essenziell. Dies bedeutet unter anderem, dass Teilnehmende die volle Kontrolle über ihre Erfahrung haben und jederzeit die Intensität anpassen können.
Nicht jede Atemtechnik oder Position funktioniert für jeden Körper. Eine inklusive Breathwork-Praxis bietet Anpassungsmöglichkeiten und Alternativen für verschiedene Körpererfahrungen an und lädt die Teilnehmenden ein, die Übungen ihren eigenen Bedürfnissen anzupassen.
Es macht einen enormen Unterschied, ob queere Menschen ihre Atempraxis in einem Raum entwickeln können, in dem sie sich vollständig gesehen und akzeptiert fühlen. In solchen queeren / inklusiven Räumen muss keine Energie für die Rechtfertigung oder Erklärung der eigenen Existenz aufgewendet werden – alle Kraft kann in die heilsame Verbindung mit dem Atem fließen.
Meine Vision für eine inklusive Breathwork-Reise
Wenn wir auf die aktuelle Weltpolitische Lage schauen, ist es nicht schwer zu erkennen, dass die Zeiten für queere Menschen in unserer Gesellschaft (noch) nicht einfacher werden. Überall auf der Welt – auch hier in Deutschland – werden queere Rechte und queere Leben angegriffen. Diesem aufkommenden Faschismus müssen wir uns – auch aus der Breathwork-Szene heraus – entgegenstellen.
Dafür wünsche ich mir unter anderem mehr queere Unterstützung und queere Sichtbarkeit in der (deutschen) Breathwork-Szene. Als eine Community, die offen davon spricht, Menschen auf ihren Heilungswegen unterstützen und zu einer besseren Welt beitragen zu wollen, ist es essentiell, dass gerade Menschen aus marginalisierten Gruppen sicher gehalten, gehört und gesehen werden.
Im englisch-sprachigen Raum (wo ich meine eigenen Breathwork-Ausbildungen gemacht habe) gibt es bereits einige queere Coaches, die ich sowohl für ihre Arbeit als auch ihr Sein sehr bewundere. Mein Wunsch ist, in Zukunft auch einige von ihnen hier im Blog und in meinem Podcast vorstellen zu können.
Diese Blogartikel-Serie ist erst der Anfang eines größeren Gesprächs, das ich anstoßen möchte. In den kommenden Monaten werde ich weitere Perspektiven erkunden: wie Breathwork einen Raum für authentisches Sein jenseits gesellschaftlicher Normen schaffen kann, wie der Atem als Brücke bei Körper- und Gender-Dysphorie dienen kann, was es braucht, um wirklich inklusive Räume zu halten, in denen alle Körper und Identitäten willkommen sind und nicht zuletzt wie wir kollektives Trauma durch bewusste Atemarbeit adressieren können und welche Rolle Dekolonisierung dabei spielt.
Mir ist dabei besonders wichtig, nicht nur über queere Personen zu sprechen, sondern ihre Stimmen und Erfahrungen direkt einzubinden. Deshalb plane ich, neben meinen eigenen Reflektionen auch Gespräche mit queeren Breathwork-Praktizierenden zu teilen und ihre Perspektiven zu stärken.
Ich lade dich ein, mit mir auf diese Reise zu gehen und gemeinsam zu erkunden, wie wir Breathwork zu einem Werkzeug machen können, das wirklich allen Menschen zugänglich ist und zur Heilung und Authentizität beiträgt -- unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Körperlichkeit.
Denn letztendlich ist der Atem ein Geschenk, das uns allen gehört. Er kennt keine Grenzen, keine Kategorien, keine Normen. Er ist einfach da – wie du. In jedem Moment. In jeder Form. In jeder Identität.
Ich freue mich auf deine Gedanken und Erfahrungen in den Kommentaren. Welche Aspekte von Breathwork empfindest du als besonders heilsam für deine Identität und deinen Körper?
Alles Liebe,
deine Svenja
P. S. Wenn du dich mit diesem Thema vertiefend auseinandersetzen möchtest, kann ich dir die folgenden (Hör-)Bücher von Herzen empfehlen:
- „Lieben und lieben lassen“ von Saskia Michalski
- „The T in LGBT“ von Jamie Raines
- „Die Zukunft ist nicht binär“ von Lydia Meyer
- „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“ von Phenix Kühnert
- „Unlearn Patriarchy“ von Madeleine Alizadeh, Teresa Bücker u. v. a.
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