Alltägliche Impulse für ein starkes Nervensystem: Die Kraft der kleinen Dinge
Ich habe dir in den letzten Wochen bereits in zwei Artikeln einen Einblick in die faszinierende Welt unseres Nervensystems (Link) gegeben und dir die Grundlagen der Polyvagal-Theorie (Link) vorgestellt. Heute möchte ich einen Schritt weitergehen und dir zeigen, wie du mit einfachen, alltäglichen Handlungen dein Nervensystem unterstützen und stärken kannst.
Oft denken wir, dass wir große Veränderungen vornehmen oder komplizierte Techniken erlernen müssen, um unser Wohlbefinden zu verbessern. Aber die Wahrheit ist: Die kleinen Dinge machen oft den größten Unterschied!
Die Macht der Grundbedürfnisse
Lass mich gleich mit dem meiner Meinung nach wichtigsten Tipp zur Regulation des autonomen Nervensystems beginnen:
Erfülle deine grundlegenden physiologischen Bedürfnisse – und zwar genau in dem Moment, in dem du sie wahrnimmst!
Was bedeutet das?
Iss, wenn du Hunger hast!
Trink, wenn du Durst hast!
Geh zur Toilette, wenn du musst!
Schlaf, wenn du müde bist!
Das klingt vielleicht einfach, macht aber einen riesigen Unterschied für deinen Nervensystem.
Warum? Ganz einfach: Einer der größten Stressoren für dein Nervensystem ist es, wenn deine Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden.
Wenn du nichts trinkst, obwohl dein Körper Durst hat, bekommt er das Signal, dass du in Gefahr bist und gegebenenfalls verdursten musst. Das löst unterschwellig direkt eine Stressreaktion in deinem Körper aus, die den Überlebensmodus deines Systems aktiviert, so dass der Fokus nun auf lebenserhaltenden Prozessen liegt statt auf den tatsächlichen Aufgaben, die du gerade erledigen wolltest. Dir fehlt also automatisch Energie für den Rest deines Alltags.
Lass uns nun noch ein bisschen tiefer tauchen und schauen, wie du dein Nervensystem im Alltag weiter unterstützen kannst.
Schlaf und Ruhe – deine Superkräfte
Es gibt mehr und mehr Studien, die belegen, dass Schlaf eine entscheidende Rolle für ein reguliertes Nervensystem und ultimativ für unsere Gesundheit spielt. Wir leben in einer Gesellschaft, die Notwendigkeit von ausreichend Schlaf für „überbewertet“ hält, was fatale Konsequenzen für unsere Gesundheit hat. Ein erwachsener Mensch braucht im Durchschnitt zwischen sieben und neun Stunden Schlaf.
Konsequenzen von Schlafmangel für die Gesundheit können unter anderem sein:
- Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Beeinträchtigung des Immunsystems
- Erhöhtes Risiko für Übergewicht und Typ-2-Diabetes
- Verschlechterung der kognitiven Funktionen, einschließlich Gedächtnis und Konzentration
- Erhöhtes Unfallrisiko aufgrund von Müdigkeit
- Negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, einschließlich erhöhtem Risiko für Depressionen und Angstzustände
- Hormonelle Ungleichgewichte, die verschiedene Körperfunktionen beeinflussen können
- Beschleunigte Hautalterung
- Verminderte Schmerztoleranz
Versuche also, einen regelmäßigen Schlafrhythmus zu etablieren und gönne dir ausreichend Ruhezeit.
Und denk bitte daran, dass nicht nur der Nachtschlaf wichtig ist. Auch kleine Pausen tagsüber können Wunder wirken:
- Mache regelmäßig Mikropausen von 2-3 Minuten
- Gönne dir eine kurze Mittagsruhe, wenn möglich
- Plane bewusst "Nichtstun" in deinen Tag ein
Diese Momente der Ruhe geben deinem Nervensystem die Chance, sich zu regenerieren und wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Ernährung – Treibstoff für dein System
Was wir essen, hat einen direkten Einfluss auf unser Nervensystem. Ich möchte hier gar nicht im Detail darauf eingehen, weil es mir nicht darum geht, eine konkrete Ernährungsweise in den Vordergrund zu stellen, aber eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, gesunden Fetten und Proteinen kann dein Nervensystem optimal unterstützen.
Zusätzlich kannst du dein Nervensystem unterstützen, wenn du nicht nur darauf achtest, was du isst, sondern auch, wie:
- Nimm dir Zeit zum Essen und kaue bewusst (das ist übrigens auch für unsere Kieferknochen wichtig und beeinflusst unsere Atmung).
- Versuche, regelmäßige Mahlzeiten einzuhalten (denk dran: Iss, wenn du Hunger hast!).
- Achte auf eine angenehme Atmosphäre beim Essen.
Bewegung – der natürliche Stressabbau
Unser Körper ist für Bewegung gemacht, und regelmäßige körperliche Aktivität ist ein Schlüssel zu einem ausgeglichenen Nervensystem. Dabei geht es nicht unbedingt um intensive Trainingseinheiten.
Schon kleine Bewegungseinheiten im Alltag können helfen, dein Nervensystem zu regulieren:
- Mache einen Spaziergang in der Mittagspause.
- Nutze die Treppe statt des Aufzugs.
- Dehne dich zwischendurch am Schreibtisch.
- Tanze zu deinem Lieblingssong, während du kochst.
Soziale Verbindungen – dein natürliches Regulativ
In meinem Blogartikel über die Polyvagal-Theorie habe ich schon über das Konzept der Co-Regulation gesprochen. Als soziale Wesen sind wir auf Verbindung programmiert. Positive soziale Interaktionen können unser Nervensystem in einen Zustand der Sicherheit und des Wohlbefindens bringen.
Dabei geht es nicht nur darum, dass wir uns regelmäßig mit Menschen treffen sollten, die uns ein gutes Gefühl geben. Auch kleine Interaktionen im Alltag können Momente der Verbundenheit schaffen und unser Nervensystem stärken. Sei es ein kurzes Gespräch mit deiner Nachbarin, eine nette Nachricht an deine Freundin oder indem du eine fremde Person anlächelst (das geht übrigens auch beim Tragen von Masken – die Augen lächeln mit und unser Nervensystem erkennt es, wenn uns jemand offen und freundlich gegenübersteht).
Für mich persönlich sind übrigens auch Umarmungen (mit Einverständnis natürlich) essentiell für mein Wohlbefinden. Ich merke mittlerweile sehr deutlich, wenn sich mein System nach menschlicher (Körper-)Nähe sehnt (und dabei geht es nicht (nur) um Sex).
Eine kleine Anekdote dazu: Ich wohne aktuell allein. Letzte Woche hatte ich einen Tag, wo ich gespürt habe, wie sehr ich mich nach menschlicher Körpernähe sehne. Ich bin dann kurzentschlossen in eines meiner Lieblingscafés gegangen, wo ein Freund von mir arbeitet, und habe ganz konkret um eine Umarmung und gehalten werden gebeten. Meinem Nervensystem tat das so gut!
Natur und Umgebung – deine äußere Regulation
Die Umgebung, in der wir uns aufhalten, hat einen großen Einfluss auf unser Nervensystem.
Wenn wir am Computer arbeiten oder viel Zeit an unserem Telefon verbringen (so wie ich), ist das für unser Nervensystem automatisch nicht optimal.
Zeit in der Natur kann (auch als Ausgleich) besonders beruhigend wirken. Versuche, regelmäßig ins Grüne zu gehen, sei es für einen kurzen Spaziergang im Park oder eine längere Wanderung am Wochenende. Lasse deinen Blick dabei in die Weite schweifen.
Zusätzlich kannst du auch deine unmittelbare Umgebung zuhause und deinen Arbeitsplatz für dein Nervensystem optimieren:
- Sorge für ausreichend Tageslicht (zusätzlich helfen können Tageslicht-Lampen, wenn dein Büro zum Beispiel in einem eher dunklen Raum ist).
- Reduziere Unordnung und Chaos (ja, Chaos im Außen dysreguliert uns auch innerlich!)
- Umgib dich mit Pflanzen.
- Kreiere dir eine gemütliche Ecke zum Entspannen in deiner Wohnung.
Achtsamkeit und Meditation – dein innerer Anker
Lass mich ehrlich sein: Auch wenn es immer wieder gehypt wird, bin ich der festen Überzeugung, dass nicht jede Person von einer Meditationspraxis profitiert. Für viele ist Stillsitzen und „nach Innen schauen“ sehr herausfordernd und kann eher aktivieren als beruhigen.
Ich empfehle jedoch von Herzen eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis, da diese dein Nervensystem langfristig nachhaltig stärken kann. Dafür musst du nicht stundenlang auf einem Kissen sitzen. Schon kleine Momente der Achtsamkeit im Alltag können einen Unterschied machen:
- Nimm dir morgens 5 Minuten Zeit, um bewusst zu atmen.
- Iss eine Mahlzeit am Tag in Stille und voller Aufmerksamkeit.
- Mache einen kurzen Spaziergang und konzentriere dich dabei nur auf deine Sinneswahrnehmungen.
Breathwork – dein direkter Draht zum Nervensystem
Und natürlich möchte ich zum Abschluss auch nochmal einen Moment auf deinen Atem zu sprechen kommen. Als Breathwork Coach liegt mir dieser Punkt besonders am Herzen, denn unser Atem ist ein mächtiges Werkzeug zur Regulation unseres Nervensystems – vor allem, weil er Teil unseres Nervensystems ist und damit einen direkten Einfluss hat. Ich werde in zukünftigen Blogartikeln noch mehr dazu schreiben.
An dieser Stelle möchte ich dir eine einfache Übung für zwischendurch anbieten:
- Atme für drei Zählzeiten ein.
- Atme für sechs Zählzeiten aus.
Falls sich der Atemrhythmus nicht entspannend anfühlt oder sogar Stressgefühle in deinem Körper auslöst, kannst du ihn auch anpassen (zum Beispiel, indem du für zwei Sekunden einatmest und für vier Sekunden ausatmest). Wiederhole den für dich passenden Zählrhythmus für drei bis fünf Mal.
Diese Übung aktiviert deinen Parasympathikus und kann ein Gefühl von Ruhe und Entspannung unterstützen.
Ein paar Gedanken zum Abschluss
Wie du siehst, gibt es viele kleine Dinge, die du in deinen Alltag integrieren kannst, um dein Nervensystem zu unterstützen. Der Schlüssel liegt darin, diese Praktiken regelmäßig und bewusst anzuwenden.
Zur Erinnerung: Bevor du irgendwelche aufwändigen Tools zur Nervensystem-Regulation ausprobierst, fange mit deinen Grundbedürfnissen (Essen, Trinken, Toilettengang, Schlaf) an! Du wirst überrascht sein, wie viel das schon bewirken kann!
Und noch ein Tipp zum Abschluss: Nimm dir nicht vor, alle Tipps aus diesem Blogartikel auf einmal umzusetzen. Wähle ein oder zwei Dinge aus, die dich besonders ansprechen, und beginne damit. Mit der Zeit wirst du spüren, wie dein Nervensystem resilienter und flexibler wird.
Und vergiss nicht: Es geht nicht darum, immer perfekt reguliert zu sein. Stressreaktionen und Aktivierung gehören zum Leben dazu. Das Ziel ist, unserem System die bestmögliche Unterstützung zu geben, damit es flexibel auf die Herausforderungen des Lebens reagieren kann.
Ich bin neugierig: Welche dieser Praktiken spricht dich am meisten an? Oder hast du vielleicht noch andere Tipps, die dir im Alltag helfen, dein Nervensystem zu regulieren? Teile deine Gedanken gerne in den Kommentaren!
Viele liebe Grüße,
deine Svenja
Quellen:
- "Sleep and Human Capital: Evidence from Daylight Saving Time" (2021) - Osea Giuntella und Fabrizio Mazzonna
- "Sleep duration and all-cause mortality: a systematic review and meta-analysis of prospective studies" (2010) - Francesco P. Cappuccio et al.
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