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Die Polyvagal-Theorie: Ein tieferer Einblick in unser Nervensystem

Ein Portrait-Foto von Svenja, mit dem Meer im Hintergrund. Svenja lacht in die Kamera.
Svenja Tasler
8.10.24
6 Minuten Lesezeit
Aussicht auf ein dunkel blaues Meer, mit beruhigend wirkenden Wellen, vor einem hell blauen Himmel

Heute möchte ich mit dir tiefer in ein faszinierendes Konzept eintauchen, das unser Verständnis über das autonome Nervensystem revolutioniert hat: die Polyvagal-Theorie. Falls du den Blogartikel, in dem ich einen ersten Überblick über unser Nervensystem gegeben habe, noch nicht gelesen hast, hole das gerne zunächst nach, da ich dort einige Grundlagen über das Nervensystem erklärt habe [Link zum Blogartikel].

Was ist die Polyvagal-Theorie?

Die Polyvagal-Theorie wurde von Dr. Stephen Porges entwickelt und bietet eine neue Perspektive darauf, wie unser Nervensystem funktioniert und wie es unsere Reaktionen auf die Umwelt steuert. Der Name "Polyvagal" bezieht sich auf die verschiedenen Zweige des Vagusnervs, der eine zentrale Rolle in dieser Theorie spielt.

Die drei Zustände des autonomen Nervensystems

Laut der Polyvagal-Theorie hat unser autonomes Nervensystem drei Hauptzustände:

1. Sicherheit (Sozialer Engagement): Dies ist unser "Wohlfühl-Zustand". Hier fühlen wir uns sicher, entspannt und verbunden. Unser Körper kann sich regenerieren, und wir sind offen für soziale Interaktionen.

2. Mobilisierung (Sympathische Aktivierung): Dies ist unser "Kampf-oder-Flucht"-Modus. Wenn wir eine Herausforderung oder Bedrohung wahrnehmen, aktiviert unser Körper Energie, um darauf zu reagieren.

3. Immobilisierung (Dorsaler Vagus-Komplex): Dies ist unser "Erstarrungs-Modus". Wenn wir uns extrem bedroht fühlen und weder Kampf noch Flucht möglich erscheinen, kann unser System in diesen Zustand wechseln.

Diese Zustände haben sich evolutionär entwickelt, um unser Überleben zu sichern. Das Besondere an der Polyvagal-Theorie ist, dass sie erklärt, wie diese Zustände hierarchisch aktiviert werden und wie sie unsere Physiologie und unser Verhalten beeinflussen.

Neuroception: Wie unser Nervensystem Sicherheit wahrnimmt

Ein wichtiges Konzept in der Polyvagal-Theorie ist die "Neuroception". Dies ist die unbewusste Wahrnehmung unseres Nervensystems von Sicherheit oder Gefahr in unserer Umgebung. Basierend auf dieser Neuroception wechselt unser System zwischen den verschiedenen Zuständen – häufig ohne, dass wir das bewusst wahrnehmen oder steuern.

Interessanterweise kann unsere Neuroception manchmal "fehlgeleitet" sein, besonders wenn wir traumatische Erfahrungen gemacht haben. Das kann dazu führen, dass wir auch in eigentlich sicheren Situationen Stress oder Angst empfinden - oder dass wir uns zu eigentlich offensichtlich unsicheren Personen hingezogen und uns bei ihnen wohl zu fühlen scheinen.

Co-Regulation: Wie wir uns gegenseitig beeinflussen

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Polyvagal-Theorie ist das Konzept der „Co-Regulation“. Dieses beschreibt, wie unser Nervensystem durch Interaktionen mit anderen Menschen beeinflusst wird und wie wir wiederum das Nervensystem anderer beeinflussen. Unser Gefühl von Sicherheit und unser Stresslevel werden stark von den Menschen um uns herum geprägt.

Wenn wir mit jemandem interagieren, der sich in einem Zustand des sozialen Engagements befindet - also ruhig, präsent und verbunden ist - kann dies auch unser eigenes Nervensystem in diesen Zustand bringen. Umgekehrt kann der Stress oder die Angst einer anderen Person auch unser eigenes System aktivieren. Diese gegenseitige Beeinflussung geschieht oft unbewusst, durch subtile Signale wie Gesichtsausdrücke, Stimmlage, Körperhaltung… oder die Atmung.

Das Verständnis von Co-Regulation kann uns helfen, bewusster mit unseren sozialen Interaktionen umzugehen. Wir können lernen, wie wir durch unsere eigene Präsenz und Ruhe andere unterstützen können, und gleichzeitig erkennen, wann wir selbst Unterstützung brauchen. Dies ist besonders wichtig in engen Beziehungen, in der Erziehung und in therapeutischen Kontexten.

Praktische Anwendungen im Alltag

Das Verständnis der Polyvagal-Theorie kann uns im Alltag unterstützen, besser mit Stress umzugehen und unser Wohlbefinden zu steigern. An dieser Stelle mag ich beispielhaft einige praktische Anwendungen mit dir teilen:

  • Förderung des Sicherheitszustands: Durch bewusste Aktivitäten wie tiefes Atmen, Meditation oder positive soziale Interaktionen können wir einen Zustand des "Sozialen Engagement" fördern, wodurch wir im Alltag mehr Entspannung und Wohlbefinden erleben können.
  • Verständnis für Stressreaktionen: Wenn wir verstehen, dass unsere Stressreaktionen natürliche Überlebensstrategien sind, können wir den Wechsel der Zustände achtsamer wahrnehmen und mitfühlender mit uns selbst umgehen.
  • Selbstregulation: Mit Techniken wie Breathwork können wir lernen, bewusst zwischen den verschiedenen Zuständen zu wechseln und uns selbst zu regulieren.
  • Verbesserung sozialer Beziehungen: Außerdem können wir bewusster und einfühlsamer in unseren Interaktionen sein, wenn wir verstehen, wie unser Nervensystem auf andere Menschen reagiert.

Die Polyvagal-Theorie und Breathwork

Die Polyvagal-Theorie unterstreicht die Bedeutung der Atmung für unsere Nervensystemregulation. Durch bewusste Atemtechniken können wir direkt mit unserem Vagusnerv kommunizieren und so unseren Zustand beeinflussen.

Langsame, tiefe Atemzüge zum Beispiel aktivieren den "ventralen Vagus-Komplex", der mit unserem Sicherheitsgefühl verbunden ist. Dies erklärt, warum Breathwork so effektiv sein kann, um Stress abzubauen und ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit zu fördern.

Das Wissen um das Nervensystem und die Polyvagal-Theorie hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung meines persönlichen Breathwork-Ansatzes [Link].

Ein paar abschließende Gedanken

Die Polyvagal-Theorie bietet uns ein tieferes Verständnis dafür, wie unser Nervensystem funktioniert und wie es unsere Erfahrungen und Verhaltensweisen beeinflusst. Sie zeigt uns, dass unser Nervensystem ständig auf der Suche nach Sicherheit ist und dass wir aktiv daran arbeiten können, einen Zustand der Sicherheit und des Wohlbefindens zu fördern.

Indem wir die Prinzipien der Polyvagal-Theorie in unser tägliches Leben integrieren, können wir resilienter gegenüber Stress werden, unsere Beziehungen verbessern und insgesamt ein größeres Gefühl von Wohlbefinden und Verbundenheit erleben. In Zukunft werde ich noch weitere Impulse mit dir zu diesem Thema und der Arbeit mit dem Nervensystem teilen, denn ich halte es für essentiell wichtig, um die Verbindung zu uns selbst, zu anderen und der Welt wieder zu stärken.

Hast du schon einmal bewusst darauf geachtet, in welchem "Zustand" sich dein Nervensystem befindet? Kannst du Situationen identifizieren, in denen du dich besonders sicher und verbunden fühlst? Ich freue mich auf deine Gedanken und Erfahrungen in den Kommentaren!

Viele liebe Grüße,

deine Svenja

Ein Portrait-Foto von Svenja, mit dem Meer im Hintergrund. Svenja lacht in die Kamera.
Svenja Tasler
8.10.24
6 Minuten Lesezeit